Stress im Büro – Arbeitsschutz ist gleich Gesundheitsschutz
Bevor Miwa Sado ums Leben kam, hatte sie ihren Eltern eine letzte E‑Mail geschrieben: „Der Stress staut sich an, einmal am Tag denke ich, dass ich aufhören möchte. Aber jetzt kommt es darauf an, durchzuhalten, nicht?“ Einen Monat später fand man die japanische Reporterin in ihrer Wohnung auf. Sie lag tot auf dem Bett, das Mobiltelefon fest umklammert. Sie war 31 Jahre alt geworden.
Die Nachricht ging um die ganze Welt, der Berliner Kurier berichtet davon, der Spiegel griff das Thema auf. Als Todesursache wurde Herzversagen angegeben, aber Sados Eltern wussten, dass das nur die halbe Wahrheit war. Auf ihren Antrag hin nahm das Amt für Arbeitsnormen die Spur auf und fand heraus, dass Sado in dem Monat vor ihrem Tod 159 Überstunden gemacht hatte. Laut Berechnungen ihrer Eltern waren es 209.
Japan ist weit weg und der persönliche Leistungsdruck dort im Alltag- und Berufsleben kulturell anders konnotiert, aber Überstunden bestimmen auch hierzulande die Arbeitswelt. Jeder weiß, wovon die Rede ist. Mehr als 800 Millionen bezahlte Überstunden pro Jahr ist der Richtwert, auf den Arbeitgeber in Deutschland zu reagieren haben.
Überstunden sind Top-Indikator für Stress
Haufe, das Portal zu beruflicher und betrieblicher Weiterentwicklung, bietet ein Programm an, das eigens dem Gesundheitsmanagement am Arbeitsplatz dient. Wesentliche Säulen sind gesundheitsfördernden Aktivitäten, Unterstützung zu ensprechendem eigenverantwortlichen Verhalten und insbesondere eine veränderte Arbeits- und Prozessgestaltung. Akteure des Managements sind die Geschäftsführung, Personalabteilung und spezielle Gesundheitsbeauftragte sowie der Betriebsrat und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit. Externe Unterstützung bieten Gesundheitsberater, Krankenkassen und Unfallversicherungsträger.
Wiederholt wurde in der Fachwelt diskutiert, ob einheitliche Standards für ein betrieblichen Gesundheitsmanagements eingeführt werden müssten, denn Überstunden sind Top-Indikatoren für Stress und mangelnde Work-Life-Balance. Zwar sind harte körperliche Tätigkeiten in den Industrieländern weitgehend zurückgegangen. Auch ist es gelungen, zahlreiche Berufsfelder und die entsprechenden Anforderung durch Digitalisierung zu vereinfachen und zu beschleunigen, doch gleichzeitig leiden die Menschen massiv unter Stress und Überforderung. Wenig verwunderlich ist, dass die meisten Stressoren, die sowohl körperlich als auch psychische Auswirkungen verursachen können, aus psychischen Belastungen resultieren.
Wissenschaftler der Stanford Universität und der Harvard Business School haben insgesamt 288 Studien analysiert. Dabei wurden die acht Stressoren entdeckt, die für die meisten arbeitsbedingten Krankheits- und Todesfälle verantwortlich sind. Beunruhigend ist eigentlich nicht nur ihre nähere Bezeichnung, sondern die Tatsache, dass fast jeder diese Faktoren aus seinem Alltag kennt. Und die wenigsten kennen sie nur von Erzählungen. Bei den genannten Stressoren handelt es sich um Leistungsdruck, geringen sozialen Rückhalt am Arbeitsplatz, das Gefühl ungerechter Behandlung, Schichtarbeit, schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Jobunsicherheit, das Gefühl des Kontrollverlustes im Job sowie Arbeitslosigkeit.
Ständige Erreichbarkeit birgt große Risiken
Einige der genannten Faktoren bedingen sich gegenseitig: Mangelnder Rückhalt im Unternehmen erhöht die Angst vor Arbeitslosigkeit. Leistungsdruck vermittelt das Gefühl von Kontrollverlust und Ungerechtigkeit. Die Digitalisierung der Arbeitswelt hat zwar einerseits zu Erleichterungen geführt, doch auf der anderen Seite birgt die ständige Erreichbarkeit, die damit verbunden ist, auch große Risiken. Die Übergänge sind fließend: Es ist immer schwieriger geworden, zu entscheiden, wo die Arbeit endet und die Freizeit beginnt.
Gesundheitsmanagement und Work-Life-Balance sind wesentliche Themen bei der Prävention in deutschen Unternehmen geworden. Eine übergroße Zahl an Überstunden führen dazu, dass Beschäftigte zu wenige Entspannungszeiträume haben, weder mit noch ohne Familie. Es reicht nicht, Stress generell zu vermeiden. Wichtig ist es, die Faktoren zu verändern, die dazu führen.
Es muss nicht gleich so enden, wie mit Miwa Sado. Fest steht nur eins: die Reporterin hat ihren Beruf geliebt. Sie arbeitete beim NHK, Japans öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt, war begeisterte Journalistin, die Beste im Team. Sie lebte für ihre Geschichten, berichtet der Spiegel. Einmal sei sie sogar auf eigene Kosten auf eine Insel geflogen, um dem Absturz eines Mititärhubschraubers nachzugehen. Der einzige, der sie hätte nachhaltig schützen können, wäre das Unternehmen gewesen, für das sie arbeitete, ihr Arbeitgeber.