Radfahrer trifft auf Kleinkind
Generell gilt im Straßenverkehr das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Was bedeutet das?
Zusammenstöße zwischen Spaziergänger und Radler sind fast an der Tagesordnung
Mehr als drei Kilometer lang führt die Straße des 17. Juni schnurgerade durch Berlin. Unterbrochen lediglich von wenigen Kreuzungen, wie am Charlottenburger Tor oder am Rondell Siegessäule, pflügt sich die Ost-West-Achse ungehindert ab Brandenburger Tor tief in den Westen der Stadt. Gäbe es keine Geschwindigkeitsbegrenzung, könnten Autofahrer hier mühelos auf Autobahntempo beschleunigen, und das inmitten einer Millionenmetropole.
Parallel zur Fahrbahn verlaufen Fussgängersteig und Fahrradweg, getrennt allein durch eine weiße Linie. Hier herrschen keinerlei Einschränkungen. Überschreitet ein Fussgänger, vielleicht sogar ein Kind, versehentlich die weiße Linie zwischen Weg und Steig, müssen Radfahrer gute Bremsen haben. Ein Zusammenstoss zwischen Spaziergänger und Radler sind beinahe unvermeidlich. Kaum ein Fahrer brächte sein Fahrzeug schnell genug zum Stehen.
Was, wenn der Spaziergänger ein kleines Kind ist – wohlmöglich selbst auf einem Rad?
Besonders schwer sind die Gefahren dann einzuschätzen, wenn ein Kind die weiße Linie passiert, das selbst auf einem Rad sitzt. Wer trägt dann eigentlich die Verantwortung? Die Mutter? Der Vater? Oder etwa der Radfahrer, der nicht schnell genug entschleunigt hat?
Ein Urteil vom Heidelberger Landgericht schaffte dazu jetzt Klärung. Dort hatte ein Radler die Mutter einer Dreijährigen verklagt, die auf einem Lauflernrad unterwegs war. Da das kleine Mädchen beim Herannahen des Radfahrers versehentlich nach links, nicht nach rechts ausgewichen war, musste der Radfahrer auf einen Grünstreifen ausweichen. Dort kam er selbst zu Fall, und sein Rad wurde beschädigt. Dabei hatte er sein Kommen deutlich durch Klingeln angekündigt. Auch hatte die Mutter ihr Kind deutlich gewarnt, nach rechts auszuweichen. Aber das Mädchen war noch zu klein. Es konnte Rechts nicht von Links unterscheiden.
Für die bei dem Sturz erlittenen Verletzungen sowie die Beschädigungen an seinem Rennrad machte der Kläger die Mutter des Kindes verantwortlich. Er warf ihr vor, ihre Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Er habe davon ausgehen dürfen, dass die Mutter ihr Kind zu sich nach rechts beordern werde. Dann hätte er die Gruppe gefahrlos links passieren können. Dass das Kind nach links ausgewichen sei, widerspreche jeglicher Lebenserfahrung. Er habe nicht mit einer solchen Reaktion rechnen können.
Im Straßenverkehr gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme
Doch die Richter wiesen die Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage des Radfahrers zurück. Der Mutter sei keinerlei Verletzung der Aufsichtspflicht vorzuwerfen. Sie habe ihrer Tochter erlaubt, Lauflernrad zu fahren, damit das Kind Gelegenheit habe, sich darin zu üben. Das sei seinem Alter und Können durchaus angemessen gewesen. Der Fahrer habe im Gegenteil ein sorgfaltswidriges Verhalten an den Tag gelegt: „Denn im Straßenverkehr gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme“, so das Gericht. „Kommt es zu einem Zusammentreffen von Radfahrern und Fußgängern, muss der Radfahrer insbesondere auch mit Unaufmerksamkeiten oder Schreckreaktionen der Fußgänger rechnen und seine Fahrweise entsprechend anpassen.“ Das gelte insbesondere gegenüber Kindern oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen.
Geschwindigkeit zählt oft mehr als alles andere
Das Urteil trifft Radfahrer hart. Dank dem allerorts vorherrschenden Ausbau der Fahrradwege und der zunehmenden Verbesserung von Rädern können Radfahrer unterwegs inzwischen mühelos auf 25 bis 30 Stundenkilometer beschleunigen. Der quietschende Drahtesel, der sich einem in absoluter Gemütsruhe, bisweilen gar in Schlangenlinien nähert, ist vollkommen aus der Mode gekommen. Ähnlich bedrohlicher ist die Ausstattung der Räder mit Elektromotoren. Kaum ein Mensch fährt mehr Fahrrad, um sich langsam fortzubewegen. Geschwindigkeit zählt auch hier inzwischen mehr als alles andere.
Gut zu wissen, dass die Richter suchen, dem Einhalt zu gebieten. Sie beschieden ihrem Kläger, er habe trotz der für ihn erkennbaren Gefahrensituation seine Geschwindigkeit von etwa 30 auf lediglich 25 Stundenkilometer reduziert. Allein seinem Fehlverhalten sei es daher geschuldet, dass er nicht rechtzeitig hinter dem Kind habe bremsen können. Das sollten sich auch Radfahrer vergegenwärtigen, die entlang der Berliner Straße des 17. Juni fahren. Was sich dort Abend für Abend oder auch morgens im Berufverkehr ereignet, hat längst nichts mehr mit gesunder Fortbewegung zu tun. Dort findet vielmehr Tag für Tag ein veritables Sportradrennen statt. Fussgänger oder gar Laufradfahrlerner seien davor nur gewarnt.
GRAF BRÜHL Versicherungsmakler
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Zusammenstöße zwischen Spaziergänger und Radler sind fast an der Tagesordnung
Mehr als drei Kilometer lang führt die Straße des 17. Juni schnurgerade durch Berlin. Unterbrochen lediglich von wenigen Kreuzungen, wie am Charlottenburger Tor oder am Rondell Siegessäule, pflügt sich die Ost-West-Achse ungehindert ab Brandenburger Tor tief in den Westen der Stadt. Gäbe es keine Geschwindigkeitsbegrenzung, könnten Autofahrer hier mühelos auf Autobahntempo beschleunigen, und das inmitten einer Millionenmetropole.
Parallel zur Fahrbahn verlaufen Fussgängersteig und Fahrradweg, getrennt allein durch eine weiße Linie. Hier herrschen keinerlei Einschränkungen. Überschreitet ein Fussgänger, vielleicht sogar ein Kind, versehentlich die weiße Linie zwischen Weg und Steig, müssen Radfahrer gute Bremsen haben. Ein Zusammenstoss zwischen Spaziergänger und Radler sind beinahe unvermeidlich. Kaum ein Fahrer brächte sein Fahrzeug schnell genug zum Stehen.
Was, wenn der Spaziergänger ein kleines Kind ist – wohlmöglich selbst auf einem Rad?
Besonders schwer sind die Gefahren dann einzuschätzen, wenn ein Kind die weiße Linie passiert, das selbst auf einem Rad sitzt. Wer trägt dann eigentlich die Verantwortung? Die Mutter? Der Vater? Oder etwa der Radfahrer, der nicht schnell genug entschleunigt hat?
Ein Urteil vom Heidelberger Landgericht schaffte dazu jetzt Klärung. Dort hatte ein Radler die Mutter einer Dreijährigen verklagt, die auf einem Lauflernrad unterwegs war. Da das kleine Mädchen beim Herannahen des Radfahrers versehentlich nach links, nicht nach rechts ausgewichen war, musste der Radfahrer auf einen Grünstreifen ausweichen. Dort kam er selbst zu Fall, und sein Rad wurde beschädigt. Dabei hatte er sein Kommen deutlich durch Klingeln angekündigt. Auch hatte die Mutter ihr Kind deutlich gewarnt, nach rechts auszuweichen. Aber das Mädchen war noch zu klein. Es konnte Rechts nicht von Links unterscheiden.
Für die bei dem Sturz erlittenen Verletzungen sowie die Beschädigungen an seinem Rennrad machte der Kläger die Mutter des Kindes verantwortlich. Er warf ihr vor, ihre Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Er habe davon ausgehen dürfen, dass die Mutter ihr Kind zu sich nach rechts beordern werde. Dann hätte er die Gruppe gefahrlos links passieren können. Dass das Kind nach links ausgewichen sei, widerspreche jeglicher Lebenserfahrung. Er habe nicht mit einer solchen Reaktion rechnen können.
Im Straßenverkehr gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme
Doch die Richter wiesen die Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage des Radfahrers zurück. Der Mutter sei keinerlei Verletzung der Aufsichtspflicht vorzuwerfen. Sie habe ihrer Tochter erlaubt, Lauflernrad zu fahren, damit das Kind Gelegenheit habe, sich darin zu üben. Das sei seinem Alter und Können durchaus angemessen gewesen. Der Fahrer habe im Gegenteil ein sorgfaltswidriges Verhalten an den Tag gelegt: „Denn im Straßenverkehr gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme“, so das Gericht. „Kommt es zu einem Zusammentreffen von Radfahrern und Fußgängern, muss der Radfahrer insbesondere auch mit Unaufmerksamkeiten oder Schreckreaktionen der Fußgänger rechnen und seine Fahrweise entsprechend anpassen.“ Das gelte insbesondere gegenüber Kindern oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen.
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Geschwindigkeit zählt oft mehr als alles andere
Das Urteil trifft Radfahrer hart. Dank dem allerorts vorherrschenden Ausbau der Fahrradwege und der zunehmenden Verbesserung von Rädern können Radfahrer unterwegs inzwischen mühelos auf 25 bis 30 Stundenkilometer beschleunigen. Der quietschende Drahtesel, der sich einem in absoluter Gemütsruhe, bisweilen gar in Schlangenlinien nähert, ist vollkommen aus der Mode gekommen. Ähnlich bedrohlicher ist die Ausstattung der Räder mit Elektromotoren. Kaum ein Mensch fährt mehr Fahrrad, um sich langsam fortzubewegen. Geschwindigkeit zählt auch hier inzwischen mehr als alles andere.
Gut zu wissen, dass die Richter suchen, dem Einhalt zu gebieten. Sie beschieden ihrem Kläger, er habe trotz der für ihn erkennbaren Gefahrensituation seine Geschwindigkeit von etwa 30 auf lediglich 25 Stundenkilometer reduziert. Allein seinem Fehlverhalten sei es daher geschuldet, dass er nicht rechtzeitig hinter dem Kind habe bremsen können. Das sollten sich auch Radfahrer vergegenwärtigen, die entlang der Berliner Straße des 17. Juni fahren. Was sich dort Abend für Abend oder auch morgens im Berufverkehr ereignet, hat längst nichts mehr mit gesunder Fortbewegung zu tun. Dort findet vielmehr Tag für Tag ein veritables Sportradrennen statt. Fussgänger oder gar Laufradfahrlerner seien davor nur gewarnt.