Hochwasser an der Elbe – Dresden versinkt in den Fluten (II)
Im August 2002 ereilte Dresden ein Hochwasser von ungeahntem Ausmaß. Das Unheil kam quasi übernacht. Und es kam in zunehmend größeren Schüben. Am 12. August prasselten auf der Höhe von Zinnwald weit oberhalb Dresdens innerhalb von vierundzwanzig Stunden 312 Milimeter Niederschlag zu Boden. Das war der höchste Tageswert seit Beginn routinemäßiger Messungen in Deutschland überhaupt.
Höchster Pegelstand seit 1845 – Vier Menschen kamen ums Leben – Krankenhäuser evakuiert – Museumsgut im großen Stil gerettet
Das Wasser sammelte sich in den Flüssen, die dort oben entspringen, in Zschopau, Flöha, Mulde, Gimmlitz, Weißeritz und anderen mehr, raste die Täler hinab und ergoss sich in tobender Geschwindigkeit in die Elbe. Innerhalb Stunden schwollen die Gewässer auf das mehrfache ihrer sonstigen Größe an. Brücken wurden weg gerissen, Straßen unterspült, Häuser überflutet. Die Strom- und Telefonversorgung brach zusammen und ganze Dörfer mussten evakuiert werden. Vier Menschen kamen ums Leben.
Besonders dramatisch war die Lage im Norden Dresdens. Beim Bau der Eisenbahn im 19. Jahrhundert war der Lauf der Weißeritz verlegt worden. Die Flutwelle, die jetzt von Zinnwald herab strömte, war so stark, dass sie sich das alte Flussbett zurückeroberte und mitten über Strassen und Gassen bis direkt in den Hauptbahnhof hinein strömte. In Kürze standen Geschäfte, Bahnsteige, die unteren Gleisanlagen unter Wasser. Alles war überschwemmt. Bevor sie sich auch nur angedeutet hatte, war die Katastrophe schon da. Die Straßen waren überflutet, die Rettungsfahrzeuge kamen nicht mehr durch, alles befand sich in Auflösung und Not.
Und das war nur der Anfang. Die zweite Welle kam aus Böhmen, zwei Tage später. Diesmal trat die Elbe schon oberhalb von Kurort Rathen über die Ufer. In Krippen stieg das Wasser bis in den zweiten Stock, in Pirna versank die gesamte Altstadt in den Fluten. Alle Wiesen, Uferstraßen und Wege in Dresden verschwanden, die Kasematten unter der Brühlschen Terrasse liefen zu. Der gesamte Theaterplatz stand plötzlich unter Wasser. Aus Elbflorenz wurde Venedig.
Höchststand 9,40 Meter
Die Elbe erreichte mit 9,40 Metern einen Höchststand, der im Besiedlungszeitraum noch nie gemessen worden war. In Pirna wurden 11,50 Meter gemessen. Solche Pegelstände waren bei sämrlichen Bauvorhaben und Projekt-Planungen als unmöglich angesehen worden.
Entsprechend unvorbereitet traf die Flut auf Städte und Menschen. Hals über Kopf mussten Rettungskommandos eingerichtet und Einsatzgruppen gebildet werden, Hubschrauber angefordert und neue Fahrstrecken ausgetüftelt werden. Politiker wie Gerhard Schröder machten hier auf einmal Wahlkampf. Eine Stadt, die unter Wasser steht, hat auch keine Transportwege mehr.
Doch Dresden hielt zusammen.
Doch Dresden hielt zusammen. Hunderte von Helfern kamen, schichteten Säcke auf, bauten Dämme, legten Barrieren und Wände an. Ärzte und Krankenschwestern machten Überstunden, halfen bei der Evakuierung von Alten und Kranken.
In einer Nacht- und Nebelaktion konnten dank vieler Freiwilligen ferner unzählige wertvollen Gemälde, Skulpturen und Dokumente aus den Sicherheitsdepots im Keller der Gemäldegalerie gerettet werden. Riesige alte Schinken, herrlichste Ölmalereien mussten einzeln Stufe für Stufe in die höheren Stockwerke gewuchtet werden. Ein Aufzug war dafür nicht vorgesehen. Es war die größte Kunstrettungsaktion zu Friedenszeiten.
Bild des Jammers
Und dann galt es zu warten, auf den Dämmen und Uferbefestigungen in der Sonne sitzen und abwarten, bis das Wasser wieder sinkt. Stille senkte sich über die Stadt. Kaum ein Auto war unterwegs. Es herrschte drückende Hitze.
Als das Wasser abgeflossen war, bot sich ein Bild des Jammers. Die seit der Wende sorgsam renovierten Villen und Baudenkmäler, die vielen Privathäuser, die neu entstanden oder saniert worden waren, die Straßen und Brücken und Parks, die geputzten Sandsteinmauern, Skulpturen und Balkone, die hübschen Gartenrestaurants an der Elbe, – alles war dahin. Mauern waren von Nässe durchdrungen. Dicke Schlamm- und Geröllschichten hatte das Wasser hinterlassen. Monate würde es dauern, bis das alles bereinigt, die Wände getrocknet und die Häuser wieder gerichtet sein würden. Der Schaden allein an der Semperoper belief sich auf 27 Millionen Euro. Die Staatlichen Kunstsammlungen schätzten ihren Schaden auf 20 Millionen Euro, Sachsen den Gesamtschaden auf 8,6 Milliarden Euro.
Das Hochwasser 2002 hat die große Verletzlichkeit der Stadt gezeigt. Sämtliche Gewässersysteme – Elbe, Gewässer erster und zweiter Ordnung sowie Grundwasser – waren gleichzeitig in Ausnahmezustand geraten. Neben der sofortigen Wiederherstellung aller städtischer Funktionen wurde seitdem viel unternommen, um die Hochwasserschäden zu beseitigen und den Hochwasserschutz zu verbessern.
Kunsthistoriker und Museumsleute forderten ein hochwassersicheres Depot für Dresden
Ein Beispiel dafür ist besonders berührend: Nachdem der Status quo einigermaßen wieder hergestellt worden waren, meldeten sich Kunsthistoriker und Museumsleute zu Wort. Sie forderten ein hochwassersicheres Depot für Dresden. Künstler von internationaler Bedeutung wie Gerhard Richter und Georg Baselitz spendeten eigene Werke. 46 Exemplare kamen zusammen. Sie wurden 2002 bei einer Auktion in Berlin versteigert, und erlangten eine Spitzensumme von 3,4 Millionen Euro.
Auch das Albertinum, das ehemalige Zeughaus, in dem die Neuen Meister ausgestellt worden waren, hatten die Fluten nicht verschont. Obwohl das Museum massiv gebaut und nicht direkt an der Elbe steht, war Wasser in die unterirdischen Lagerräume geflossen. Die Museumsleitung beschloss, hier das neue Depot einzurichten, doch diesmal keinesfalls im Keller. 2006 wurde das Albertinum zwecks Sanierung geschlossen, und über dem Innenhof entstanden in siebzehn Metern Höhe zwei neue Stockwerke. Auf einer Fläche von rund 3.450 Quadratmetern wurden, für den Besucher nicht sichtbar, Depots und Werkstätten eingerichtet. Das eigentliche historische Baudenkmal blieb davon unberührt.
Das Beeindruckendste an dem Neubau ist die Beleuchtung. Obwohl sich das Depot über dem Innenhof befindet, herrscht in dem Hof, wenn draußen die Sonne scheint, helles, freundliches Licht. Das klingt wie Zauberei, doch es ist nicht weniger, als ein genialer Einfall der Architekten: Durch eine Lichtfuge zwischen dem Neubau und den ursprünglichen Gebäudeteilen scheint das Tageslicht herein. Nur bei Nacht und Regen sind naturgemäß zusätzliche Lampen notwendig.
Billig war die Sache allerdings nicht. 45 Millionen Euro hat sich der Freistaat den Umbau kosten lassen. Auch hat die Aktion sehr lang gedauert. Erst nach vier Jahren, im Juni 2010, konnte das Albertinum wieder eröffnet werden.
Aber die Dresdner sind sehr stolz darauf. Jetzt hat die Stadt nicht nur eine Kunstsammlung von Weltrang, sondern auch die Möglichkeit, ihre Schätze im Notfall einzulagern und zu schützen. Entstanden ist eine Arche für die Kunst, ein festes Schiff, das gegen alle Hochwasser gefeit ist. Man hätte auch die Elbe umleiten können. Das wäre teurer geworden.
Teil 3 von 4 bald hier, im Online-Magazin von GRAF BRÜHL Versicherungsmakler Frankfurt:
Das Hochwasser kehrt zurück